Nun ist sie also bald da, die Reform im Friseurberuf! „Modern und praxisnah“ und ab dem 1.8.2021 rechtskräftig! So angekündigt in einer für mich einmal mehr schwammigen und inhaltsleeren Top-Meldung auf der Homepage des Zentralverbands des deutschen Friseurhandwerks vom 11.5.2021. Ohne Details! Ohne jegliche Info über das so wichtige Was und Wie! Dafür einmal mehr Selbstbeweihräucherung und Schulterklopfen…Hätte FMFM nicht umgehend ein Interview mit dem Reform-Hauptverantwortlichen Robert Fuhs hinterhergeschoben, in dem dieser zumindest mal ein paar Details preisgegeben hat, hätten wir ausbildenden und ausgebildet werdenden Friseure nicht gewusst, was diese Selbsthuldigung in besagter Top-Meldung eigentlich rechtfertigt.

Die AUSBILDUNGSREFORM! Ein LICHTBLICK für unsere Branche?

DEFINITIV! Zumindest habe ich das geglaubt und gehofft! Auch wenn es heißt, die Hoffnung stirbt zuletzt, starb meine leider exakt in dem Moment, als ich das Interview gelesen und auf den Link zur offiziellen Verordnungsänderung geklickt hatte. Ganz ehrlich, ich bin nicht nur demoralisiert, sondern stinkwütend!

Was soll das? Fragte Herbert Grönemeyer in einem seiner Hits! Und genau das frage ich mich jetzt auch! Das kann doch nicht wahr sein, dass das alles sein soll, worauf wir motivierten Ausbilder nun seit Jahren warten! Änderungen im Wording, Anpassungen, die nach wie vor praxisferner, unmoderner und abtörnender nicht sein können! Wo bleibt die neue, dringend notwendige und herbeigesehnte Attraktion für junge Menschen, den schönsten Beruf der Welt erlernen zu wollen? WER bitte schön saß da gemeinsam jahrelang am Tisch? Das was Herr Fuhs hier kommuniziert, ist noch nicht mal ein Reförmchen, sondern sind bestenfalls neue Schläuche für alten Wein! Beschämend!

Überhaupt; ein Beruf, der so der Mode, Trends und dem Livestyle verbunden ist, müssten da nicht auch diese Voraussetzungen einer Prüfung deutlich regelmäßiger und flexibel gestaltet werden?

Lust auf Ausbildung verloren – Tödlicher Trend!

Ich persönlich habe mit Herrn Fuhs auf Facebook schon vor Jahren ewig lange Diskussionen geführt, um ihm die Sachlage unserer Berufsausbildung direkt aus der Praxis heraus zu erklären und darzulegen.

Die Ausbildung in einem der schönsten Berufe der Welt, der von Mode, Neuheiten, Trends und dem Thema Schönheit lebt, war über Jahrzehnte veraltet und praxisfern und – wie ich finde – für junge Menschen, die sich für diesen Beruf interessieren, unattraktiv und abtörnend, und zwar nicht nur, was das Gehalt betrifft. Viel zu lange wurden mit den bisherigen Ausbildungsanforderungen junge Menschen vergrault, aber auch viele Unternehmer hatten die Lust an der Ausbildung verloren – eine Ausbildungsquote von unter 15% und eine Ausbildungsabbruchquote von unglaublichen 60% zeigen doch eindeutig den dramatischen und für unseren Beruf tödlichen Trend! Warum es daher gefühlt ewig gedauert hat, bis sich dieser „Mist“ einmal grundlegend ändern würde, ist mir nach wie vor ein Rätsel! Und jetzt dieses Ergebnis! Diese Reform ist ein Konstrukt, das altem Mist neue Namen gibt, aber nicht wirklich etwas an der Misere Ausbildung ändern wird!

Ich ahne Böses!

Für mich eines der maßgeblichen Probleme, warum viele Unternehmer nicht mehr ausbilden, dass das Konzept der dualen Ausbildung vollkommen am „normalen Salongeschäft“ vorbei geht. Und genau hier hatte ich mich auf eine echte Reform gefreut!

Was wurden unsere Auszubildenden bisher bei der Gesellenprüfung  1 (GP1) mit Arbeiten gequält und demotiviert, die erstens vollkommen an der Zeit vorbei und zweitens auch zu dem Zeitpunkt vollkommen überfordernd waren. Einen riesigen Anteil nahm hier die Dauerwellprüfung ein, die mit vollkommen veralteten und dämlichen Vorgaben aus der Friseursteinzeit gespickt, schon meine persönliche Ausbildung fast zum Kollabieren gebracht hätte. Ausschließlich „klassische“ Wickeltechniken und anschließend eine Einlegefrisur, die sogar am britischen Königshof als veraltet und piefig gegolten hätte, waren hier die strikten Vorgaben! Das ganze natürlich ausschließlich an echten Modellen, weil sich ja auch so viele Freiwillige finden, die diesen Mist am eigenen Kopf tragen wollen!

GOTT SEI DANK, dachte ich, das wird mit der neuen Ausbildungsverordnung nun endlich Geschichte sein. Dachte ich! Aber Pustekuchen! Denn genau diese dämliche Dauerwelle heißt nun „permanente Umformung“ und darf evtl. auch moderne Wickel- und aktuelle Umformungstechniken beinhalten. Wie es dann im Anschluss mit kreativer und moderner Frisurengestaltung ausfällt, ist mir noch nicht bekannt – aber ich ahne Böses!

Ein weiteres Pseudo Reform-Thema – der klassische Façon! Bitte versteht mich nicht falsch, ein Friseur „muss“ am Ende seiner Ausbildung einen perfekten Herrenhaarschnitt beherrschen – warum aber auch dieser aus der modischen Steinzeit stammen musste, erklärte sich mir noch nie! Und warum diese Königsdisziplin des Haareschneidens ein Auszubildender – der logisch betrachtet erst im dritten Lehrjahr eine Schere am Kunden und im Salongeschehen in die Hand nehmen sollte – diese Bürde schon am Anfang seiner Ausbildung erlernen muss, sodass andere für den Anfang wichtige Fertigkeiten und Grundwissen auf der Stecke bleiben, das weiß wohl nur der sprichwörtliche Geier…oder vielleicht auch Herr Fuhs?

Überforderung bei GP1, Unterforderung bei GP2

Denn das Einzige, was sich hier scheinbar geändert hat: Die Anforderungen an die asbachuralte Bombage-Technik wird nun durch eine “professionelle und typgerechte Föhntechnik” ersetzt – was auch immer das aussagt! In meinem Salon wird der Föhn im Herrenbereich jedenfalls fast ausschließlich zum Trocknen verwendet und das Styling fast nur mit den Händen erarbeitet.

Um dem ganzen Schwachsinn noch ein Krönchen aufzusetzen, der Lüneburger Prüfungsausschuss verlangt von den absoluten Berufsanfängern, diesen Haarschnitt ohne Verwendung einer Haarschneidemaschine anzufertigen. Ganz am Ende darf man die Kontur mit einer Maschine säubern. Das ist eine Aufgabe, die viele ausgelernte Friseure maßlos überfordern würde! Heute kann doch kaum einer mehr ohne Aufsatz sägen!

Herr Fuhs erklärte mir während einer Diskussion, dass das Ergebnis dann aber anfechtbar wäre!

Super – die Aussage, dass der Schnitt schlechter benotet ist, weil zu viel mit der Maschine gearbeitet wurde, wird wohlwissend nicht vor Zeugen getätigt. Ohne hier jemanden zu verurteilen, aber jedenfalls wären meine Azubis sicherlich nicht die ersten, die wegen eines unbeliebten Chefs schlechtere Noten erhielten.

Warum diese maßlose Überforderung zum Anfang einer Ausbildung und dann eine – wie ich finde – „Unterforderung“ bei der GP2?

Beim Hausbau fängt man auch nicht mit dem Dach an!

Eine Ausbildung muss, was Können und zeitlichen Rahmen angeht, zu den im Salonalltag geforderten Fertigkeiten passen!!!  Bedeutet – ich muss meinen Auszubildenden Tätigkeiten beibringen, die sie erst zum Ende ihrer Ausbildung können müssen. Wollen Lehrlinge die GP1 mit guten oder sehr guten Ergebnissen abschließen, müssten diese eigentlich vom ersten Tag an wie bekloppt wickeln üben und einen maßlos überfordernden Haarschnitt trainieren, den sie irgendwann einmal im dritten Lehrjahr am echten Kunden auch wirklich durchführen dürfen! Was soll das? Ein Haus wird doch auch nicht beim Dach angefangen zu bauen!

Ich übertrage das mal auf unsere Kinder und vergleiche das mit der Schule.

Warum lernen Kinder in der Grundschule das 1×1 und die Grundlagen der Mathematik? Warum nicht gleich mit Algebra und Wurzelziehen loslegen?

Warum bringe ich einem Kleinkind das Schwimmen bei? Wäre es nicht effektiver, die Göre mit einer Leine um den Hals ins Schwimmerbecken zu kicken? Ganz nach dem Motto, wer ertrinkt, lernt schneller?!

Ich würde doch auch nicht meine Tochter mit ihrem Fahrrad den Lüneburger Kalkberg runterkacheln lassen – nach der Devise, das Anfahren, Bremsen und Absteigen kann sie doch auch später noch lernen, denn diese einfachen Dinge braucht sie ja erst zu können, wenn sie den beknackten Berg runtergedonnert ist und sich zufälligerweise „nicht“ den Hals gebrochen hat oder bestenfalls sich traumatisiert nie wieder aufs Bike setzen wird!

Das traumatisieren und vergraulen muss ein Ende haben – aber nicht mit diesem Verband und nicht mit diesem Reförmchen!

Schritt für Schritt – So sorgt die Friseurausbildung für glückliche Azubis und Kunden

Ich bilde jedes Jahr – wenn möglich – zwei Azubis aus und meine Auszubildenden im ersten und zweiten Lehrjahr sind unser wichtigster Faktor für sehr gute Assistenzarbeiten und die Kundenzufriedenheit. Als erstes lernen sie, wie wichtig eine exzellente Haarwäsche und Kopfmassage ist. Dann lernen sie am lebenden Objekt richtig zu kommunizieren, sich auszudrücken, zu erklären und am Ende auch zu beraten. Die jungen Menschen sind bei jeder Beratung anwesend und werden bei uns sogar in die Kundengespräche eingebunden. Sogar ihre Meinung ist gefragt. So erreiche ich, dass den jungen Menschen Selbstbewusstsein vermittelt wird, da ihre Meinung einen Wert hat. Gleichzeitig lernen sie so das freie Sprechen in einer für sie angespannten Situation.

Sie lernen Farbe, Farblehre, Nummernsystem, Mischrechnung, Mischverhältnisse, Auftragen, Aufemulgieren, Abwaschen und die richtige Pflege anwenden, erklären und beraten. Sie lernen den Umgang mit Menschen; sie lernen wie wichtig sie in unserem Salon für Service, Wohlbefinden, Ordnung und Reinlichkeit sind und welche große Verantwortung sie für diese Aufgaben tragen. Denn all diese Aufgaben erfüllen sie in unserem Salon auch wirklich tagtäglich! Übrigens auch ein Grund, warum die überbetrieblichen Lehrgänge seit Jahren nicht zur Prüfung gepasst haben, weil dort intelligente Menschen beschlossen haben, dass man nicht für eine Prüfung ausbildet, sondern für das Leben und die gerade geforderten bzw. geförderten Bedürfnisse und Aufgaben!

Schon im zweiten Lehrjahr sind meine Azubis selbst Ausbilder!

Am Anfang des zweiten Lehrjahres geht es dann los mit höherer Farblehre, Blond, Mattieren und Komplementieren, aufwendigen Farb- und Strähnentechniken und allem was dazu gehört! Meine Azubis im zweiten Lehrjahr sind nun auch die wichtigsten Ausbilder meiner neuen Azubis. Diese lernen durch Lehren weit mehr als sie im ersten Jahr gelernt haben! Und erst ab diesem Zeitpunkt fangen wir an, dass meine Auszubildenden auch den Umgang mit einer Schere lernen. Wie halte ich sie richtig, wie führe ich sie, wie pflege, reinige und desinfiziere ich sie und am wichtigsten, wie stelle ich sie richtig ein.

Dann werden Modelle eingeladen und es wird mehrmals besprochen und beraten. Anschließend wird der gesamte Haarschnitt am besten mehrfach (das geht auch mit echten Kunden sehr gut) erklärt und vorgeführt und das „System“, die Winkelhaltung und die unterschiedlichen Möglichkeiten werden erklärt und aufgezeigt. Dann müssen die Lehrlinge dieses System aus dem Gedächtnis aufschreiben und erklären. Und erst dann fangen sie mit einfachsten Schnitten an.

Die „Kinder“ lernen also erstmal sitzen, krabbeln, laufen, reden und dann – wie man ein Fahrrad hält, abstellt, schiebt, pflegt und reinigt, Luft aufpumpt, anfährt, bremst und abstellt. Erst anschließend lernen sie das eigentliche Fahren und ganz am Ende der Ausbildung müssen sie mit diesem Fahrrad den steilen Berg runterfahren, in einem gewissen Zeitlimit, sauber unten abbremsen und das Fahrrad auch noch schön und sauber in den Fahrradständer stellen! Und dafür lassen sie sich dann benoten.

Aber nein – der Zentralverband des deutschen Friseurhandwerks sieht das anders: Unsere Azubis werden – auch mit der neuen „Reform“ – den Berg runtergeschubst – ohne Sinn und Verstand, mit Techniken gespickt, die es im „normalen“ Straßenverkehr gar nicht mehr gibt!

Herzlichen Glückwunsch! Denn eine gesunde und zweckgebundene Ausbildung wird somit weiterhin torpediert und dafür gesorgt, dass immer weniger den schönsten Beruf der Welt ausüben! All diejenigen, die für die (neuen) Inhalte der Friseurausbildung verantwortlich zeichnen, sind maßgeblich dafür verantwortlich, dass immer weniger Ausbilder ausbilden werden und wollen!

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Mancher Azubi ist nicht einmal eine bessere Putzfrau! ©-Gina-Sanders-Fotolia.com_

Ich habe schon vor langer Zeit beschlossen, mein eigenes System zu entwickeln, das extrem gut funktioniert und strikt an den GP1 Prüfungsvorgaben „vorbei“ umzusetzen. Leider führt das dazu, dass meine Azubis allesamt eher schlecht bis durchschnittlich die GP1 bewältigen! Das besprechen wir aber bereits am Anfang der Ausbildung, damit es deswegen zu keiner Demotivation kommt!

Aber meine Azubis gehen allesamt zu einer für sie eher unterfordernden GP2 Prüfung, weil sie all die Arbeiten tagtäglich an echten bezahlenden Kunden längst in Perfektion umsetzen dürfen! Und ich erschaffe so Auszubildende, die ab dem ersten Tag als Geselle umsatz- und erfahrungstechnisch gewinnbringend eingesetzt werden, weil ich nicht für eine dämliche Prüfung ausbilde, sondern für ein erfolgreiches Leben als Friseur!

100% meiner ehemaligen Auszubildenden sind dem Beruf treu geblieben und auch die Übernahmequoten sind in meinem Betrieb sehr hoch.

Es könnte alles so einfach sein – würde ein Verband sich über die Ausbildung der Generation Z Gedanken machen – sinnvoll für das Leben als Friseur und nicht für eine Prüfung ausbilden und vor allem – den Ausbildungs- und Prüfungsplan so gestalten, dass die Anforderungen zum beruflichen Alltag passen!

Ich träume einfach weiter – und mache bis dahin weiter – MEIN Ding!