Hand aufs Herz: Wenn ich mir anschaue, was in unserer Branche gerade los ist, kriege ich Schnappatmung. Überall wird gejammert. „Kein Personal!“, „Alle dauernd krank!“, „Die Jugend will nicht mehr arbeiten!“.

Bullshit.

Das Problem sind oft nicht die „faulen Mitarbeiter“. Das Problem sitzt meistens im Büro vor dem Taschenrechner und glaubt an Märchen. Das Problem ist eine Kalkulation aus dem letzten Jahrhundert, die Menschen mit Maschinen verwechselt.

Wir sehen es doch gerade „live und in Farbe“: Unsere Branche blutet aus. Gute Leute werfen das Handtuch. Und warum? Weil wir sie verheizen. Heute rede ich mal Tacheles darüber, warum eure Preise wahrscheinlich falsch sind – und warum ihr damit nicht nur eure Mitarbeiter in die Flucht schlägt, sondern aktiv euren eigenen Gewinn verhindert.

Der 100%-Mythos: Willkommen im Wolkenkuckucksheim

In der Meisterschule (und ja, ich war da jahrelang Dozent, ich weiß genau, was da gelehrt wird) lernen wir die klassische Kostenkalkulation: Miete + Strom + Lohn + Ware = Preis. Fertig ist die Laube.

Das klingt super logisch. Hat nur einen Haken: Es funktioniert nur bei Robotern.

Viele von euch kalkulieren mit einer 100%igen Auslastung. Ihr geht davon aus, dass ein Mitarbeiter, der 8 Stunden da ist, auch 8 Stunden lang Geld in die Kasse spült. Spoiler-Alarm: Das ist technisch und faktisch unmöglich.

Mitarbeiter sind Menschen. Sie müssen mal auf Klo (ja, wirklich!). Sie müssen den Platz sauber machen. Sie müssen Farben anmischen. Sie müssen mal kurz durchatmen, wenn die letzte Kundin ihnen zwei Stunden lang das Ohr abgekaut hat.

Die nackte Wahrheit über „echte“ Arbeit (REFA lässt grüßen)

Lass uns mal die rosarote Brille absetzen.

  • 85% Auslastung gilt in unserer Branche schon als absolute Vollauslastung. Mehr geht kaum.

  • Eine GESUNDE Auslastung – also ein Tempo, bei dem man nicht mit 40 Jahren den ersten Herzinfarkt hat – liegt laut REFA bei ca. 75%.

Das bedeutet: Von einer Stunde (60 Minuten) ist dein Mitarbeiter nur ca. 45 Minuten effektiv am Kunden und produziert Umsatz. Die restlichen 15 Minuten sind Rüstzeit, Verteilzeit, Mensch-sein-Zeit.

Das 60-zu-80-Problem: Warum du dich arm rechnest

Pass gut auf, jetzt wird’s mathematisch, aber ich mach’s so einfach wie einen Maschinenschnitt auf 3mm.

Stell dir vor, du hast ausgerechnet, dass dein Mitarbeiter 60 € pro Stunde erwirtschaften MUSS, damit deine Kosten gedeckt sind und er seinen Lohn verdient. Wenn du jetzt sagst: „Okay, dann nehme ich 60 € die Stunde vom Kunden“dann hast du schon verloren.

Warum? Weil dein Mitarbeiter diese 60 € in Wahrheit gar nicht in 60 Minuten erwirtschaften kann, sondern er muss sie in den 45 Minuten (75% Auslastung) erwirtschaften, die er real am Kunden steht!

Die Rechnung muss also lauten: Ich brauche 60 € Umsatz. Ich habe dafür aber nur 75% der Zeit (0,75) zur Verfügung.

Die Formel:

👉 Bämm. Da ist er. Der Unterschied von 20 €. Du musst 80 € pro Stunde berechnen, um bei einer gesunden, menschlichen Auslastung auf deine Kosten zu kommen.

Das Paradoxon: Warum „Volle Hütte“ dich ärmer macht

Wer diese 20 € Differenz nicht über den Preis holt, zwingt sein Team, es über die Masse zu holen. Das heißt: „Ackern wie die Pferde“. Aber – und das müsst ihr verstehen – eine zu hohe Auslastung ist ein Umsatz-Killer!

Stell dir folgende Situation vor: Du bist im Stress. Dein Kalender ist auf Kante genäht. Draußen im Wartebereich sitzt schon Frau Müller-Meier-Schulze und schaut alle 30 Sekunden demonstrativ auf die Uhr, weil sie eigentlich schon seit 10 Minuten dran wäre. Sie ist genervt. Du bist genervt.

Was passiert jetzt?

  1. Keine Beratung: Du hast keine Zeit mehr, ihr die neue Färbetechnik vorzuschlagen. Zack, Zusatzumsatz weg.

  2. Kein Verkauf: Du hast keine Ruhe, ihr das perfekte Pflegeprodukt für zuhause zu erklären. Zack, Verkaufsumsatz weg.

  3. Qualität sinkt: Du arbeitest „schnell-schnell“. Das Ergebnis ist okay, aber nicht „Wow“. Frau Müller-Meier-Schulze kommt vielleicht nicht wieder. Zack, Kunde weg.

Merkst du was? Durch die Überlastung reduzierst du deine Rentabilität. Du verhinderst aktiv höhere Umsätze, weil du im Hamsterrad rennst, statt Zeit für profitables Arbeiten zu haben.

Der Exodus: Warum wir nicht an der Kasse sitzen

Und jetzt kommen wir zum Punkt, der mir wirklich weh tut. Die Konsequenz aus dieser falschen Rechnerei sehen wir jeden Tag:

Die Leute hauen ab.

Wir arbeiten hier am Menschen. Wir tragen eine riesige Verantwortung. Ein versauter Haarschnitt wächst nicht über Nacht nach, eine verätzte Kopfhaut ist Körperverletzung. Wir müssen Psychologe, Handwerker und Künstler gleichzeitig sein.

Aber wenn der Druck so hoch wird, dass man abends nur noch klinisch tot ins Bett fällt, dann fragen sich viele völlig zu Recht: „Warum soll ich mir das antun?“

Sie wandern ab in Berufe, wo sie weniger Belastung und weniger Verantwortung haben – und oft sogar mehr verdienen oder zumindest pünktlich Feierabend haben. Ganz ehrlich: Wenn ich für das gleiche Geld im Supermarkt Dosen ins Regal räumen kann oder Produkte über den Pieper an der Kasse schiebe, ohne Angst haben zu müssen, jemanden zu verunstalten, und ohne den Zeitdruck im Nacken… wer kann es ihnen verdenken?

Wir verlieren unsere Fachkräfte nicht, weil sie „keine Lust“ haben. Wir verlieren sie, weil wir Strukturen erschaffen haben, die krank machen.

Mein Fazit: Rechnet endlich mit Menschen!

Eine gesunde Unternehmensstruktur fängt bei einer ehrlichen Kalkulation an. Wir müssen Löhne, Belastung UND Rentabilität in Einklang bringen. Wer seine Preise niedrig hält, indem er seine Mitarbeiter verheizt und Kunden wie am Fließband abfertigt, hat kein Unternehmen. Er hat eine Geld-Verbrennungs-Anlage.

Es ist alles mathematisch lösbar. Man muss nur aufhören, die Realität zu ignorieren. Schafft Puffer. Schafft Zeit für Qualität. Dann stimmt am Ende auch die Kasse – und das Team bleibt.

Denkt mal drüber nach. Und dann holt den Taschenrechner raus. Den richtigen diesmal.

Liebe Grüße Euer Christian